Dieser Text ist Teil eines Skriptums für StudentInnen und beinhaltet einen kurzen Abriß über die (frühe) Geschichte und die Grundlagen der Gestalttherapie. 

 

EINFÜHRUNG IN DIE GESTALTTHERAPIE

 

Zur Geschichte der Gestalttherapie

Gesundheits- und Krankheitsbild in der Gestalttherapie

Grundprinzipien

Regeln der Gestalttherapie

Verwendete Methoden

Gestalt in der Beratung

Literatur

 

Zur Geschichte der Gestalttherapie

 

Friedrich Salomon Perls wird 1893 als Sohn jüdischer Eltern in Berlin geboren. Nach der Grundschulausbildung beginnt er ein Medizinstudium, welches er wegen des ersten Weltkriegs unterbrechen muss. Im Krieg macht er eine Reihe traumatischer Erfahrungen: Sein bester Freund stirbt; viele Soldaten seiner Truppe kommen bei einem Gasangriff ums Leben.

Nach dem Ende des Krieges setzt er das Studium fort und schließt 1921 als Dr. med. ab. Bedingt durch die für Juden in Deutschland schwieriger werdende Situation und aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse geht Perls 1923 für ein halbes Jahr nach New York, kann dort beruflich aber nicht reüssieren, da sein Studium nicht anerkannt wird. Er kehrt nach Berlin zurück und arbeitet in einer eigenen Praxis. Perls beginnt aufgrund einer unglücklichen Liebesbeziehung eine psychoanalytische Therapie bei Karen Horney, die bald in eine Lehranalyse umgewandelt wird.

 

Auf Vorschlag von Karen Horney übersiedelt er 1926 nach Frankfurt und setzt die psychoanalytische Ausbildung bei Clara Happel, einer Schülerin Karen Horneys, fort. In Frankfurt lernt er Kurt Goldstein und damit das Konzept der Gestaltpsychologie kennen, die in diesen Jahren zu einer bedeutenden psychologischen Richtung reift. In einem Kolloquium Goldsteins kommt es zum ersten Kontakt zwischen Fritz Perls und Lore Posner (die 1930 durch Eheschließung den Namen Perls annahm und später in den USA als Laura Perls bekannt wurde). Lore Posner schreibt ihre Doktorarbeit unter Betreuung des Gestaltpsychologens Adhemar Gelb, der in einem Naheverhältnis zu Goldstein steht. Auch Lore Posner beginnt eine Lehranalyse, bei Karl Landauer, der später das Psychologische Institut in Frankfurt gründet. Sie interessiert sich stark für die Philosophie von Martin Buber, der den Dialog zum Prinzip menschlicher Existenz erhebt (z.B. Buber, 1923: Ich und Du).

 

Fritz Perls übersiedelt 1927 nach Wien, wo er psychoanalytisch arbeiten will. Seine Kontrollanalysen bei Helene Deutsch und Edward Hitschmann enttäuschen Perls; er erlebt die AnalytikerInnen als kühl und distanziert. Seine Versuche, direkt mit Sigmund Freud in Kontakt zu treten, scheitern. Die Zeit ist geprägt von Lagerkämpfen innerhalb der psychoanalytischen Gemeinschaft; Otto Rank, Alfred Adler und später Wilhelm Reich werden ausgeschlossen und/oder gründen eigene Schulen.

Zurück in Berlin interessiert sich Perls neben Gestaltpsychologie auch – angeregt durch Wilhelm Reich - für den Marxismus. In den Briefen von Fritz Perls aus dieser Zeit lässt sich die Abwendung von klassisch psychoanalytischer Terminologie hin zu Begrifflichkeiten erkennen, die im Zentrum des Interesses von Wilhelm Reich steht. Er beschäftigte sich nun mit seinem "Widerstand", dem "Charakter" und dem "Durchbrechen meines steifen Charakterpanzers".

Sukzessive ändert sich auch sein Behandlungsstil, der sich immer mehr vom klassischen psychoanalytischem Setting unterscheidet. Zwar verwendet er noch die Couch, er beobachtet aber genau die Körpersprache und Mimik der Patientin/des Patienten. Er äußert seine Gefühle gegenüber den KlientInnen und konzentriert sich auf das Geschehen im Hier-und-Jetzt. Er verwendet die Phänomene nicht, um sie zu deuten, sondern um die KlientInnen mit sich selbst in Kontakt zu bringen.

Nach der Eheschließung 1930 versucht das Ehepaar Perls, ihre Praxis zu etablieren, doch das Leben für Juden wird in Deutschland immer schwieriger (zudem engagieren sich beide auch linkspolitisch). Daher entschließen sich Fritz und Lore Perls zu Emigration und sie gelangen über Amsterdam, wo sie einige Zeit in ärmlichen Verhältnissen leben, nach Südafrika.

In den Jahren in Johannesburg führen F.&L. Perls nicht nur eine gutgehende Praxis, sie versuchen auch, ein eigenes Konzept zu formulieren, das sich zwar noch immer an der Psychoanalyse orientiert, aber auch eigene Ansätze enthält.

1936 kommt es zu einer tiefen Krise bei Fritz Perls. Die Auslöser sind zum einem sein ablehnend aufgenommener Vortrag über "Orale Widerstände" auf dem internationalen Kongress für Psychoanalyse in Karlsbad, zum anderen eine Begegnung mit dem schwerkranken Sigmund Freud, der ihn kaum beachtet.

F. Perls schreibt: "Fuhr zum Freud-Kongreß nach Marienbad. Erster Vortrag: "Der orale Widerstand." Stieß auf Ablehnung. "Widerstände sind immer anal." !!! Ärgerlich. Erster Bruch mit den Orthodoxen. Heilloses Durcheinander, aber es gibt jetzt einen sicheren Punkt: "Ich weiß es besser." Was? Ich weiß es besser als die Götter? Ja, ja, ja! Ich bin sehend; sie sind halb blind. Nicht so blind wie die Materialisten und die Spiritualisten, aber auch sie haben Vorurteile ohne Ende. Vielleicht werde ich eines Tages die Wahrheit finden. Ein bombastischer Gedanke, die Wahrheit." (Gestaltkritik, 1998,2,10)

 

Umso mehr arbeiteten Lore und Fritz Perls nun an der Entwicklung eines eigenen Konzepts, das eine wissenschaftstheoretischen Neufundierung der Psychoanalyse darstellen soll. 1942 erscheint ihr erstes Buch "Das Ich, der Hunger und die Aggression". Der Untertitel "Eine Revision von Freuds Theorie und Methode" wird in späteren Auflagen durch "Die Anfänge der Gestalttherapie" ersetzt. Doch ist der Name "Gestalttherapie" noch nicht geprägt, die Perls nennen ihren Ansatz "Konzentrationstherapie".

Konzentration sollte zum einen verwendet werden, um der Vermeidung entgegenzuwirken (quasi als Gegenmittel zur Neurose), zum anderen als Methode (im Gegensatz zur freien Assoziation) im Umgang mit dem zu bearbeitenden Material. In der "Konzentrationstherapie" wird der "Widerstand" durch den "Beistand", das "unbewusste Agieren" durch das "bewusste Erleben", die "Abstinenzregel" durch das "aktive, therapeutische Vorgehen", und die "Zustandsanalyse" durch die "Prozessbegleitung" ersetzt (vgl. Fuhr et al., 1999, 108).

 

Perls wendet sich gegen ein absolut gültiges Wertesystem von Gut/Böse oder Richtig/Falsch. Den Hintergrund bildet ein anarchistisches Weltbild, auf dem der Mensch seine eigene Vervollkommnung erfahren soll. Er wendet sich daher gegen die Deutung – ein autoritäres Instrument der Psychoanalytikers -, die den Klienten/die Klientin in eine passive und untergeordnete Rolle zwängt. Erfahrung ist der Weg zu Lebendigkeit und damit zur Heilung neurotischer Strukturen.

Perls sieht, wie sehr er den traditionellen Weg verlassen hat: Das Thema von "Das Ich, der Hunger und die Aggression" muss für Freud inakzeptabel sein, weil es zur Assimilation führt. Fremdes wird zu einem Teil des Selbst und führt zu seinem Wachstum. Freuds Ego-Begriff ist die Akkumulation der Teile: Introjektionen (Teil II, Kapitel 5 und 7). Nachvollziehbar, analysierbar. Aber Assimilation ist Integration. Zu wenig gelebte Aggression in der Aufnahmephase (Hunger) und Destrukturierung (zerstören, zermahlen, vorbereiten für die Einverleibung) von äußerer physischer und geistiger Nahrung behindert den Reifungs- und "Selbstwerdungsprozeß". Die Idee der Assimilation unterwandert Freuds Modell der Struktur des Menschen, vor allem das instinktive Verhältnis von Über-Ich und Ich und seine einseitige Auffassung vom Leben als eines Kampfes zwischen Eros und Thanatos. Die Psychoanalyse gebärdet sich immer mehr als geschlossenes, unverändertes und unveränderbares System voller Erklärungen, aber ohne Selbstverständnis. Psychoanalyse ist eine Krankheit, die so tut als sei sie die Heilung. Erfolglose Behandlungen zwischen drei Jahren und zwanzig Jahren oder mehr wiegen schwerer als der dürftige Erfolg. Ich bin nicht mehr so verwirrt. Ich fange an, zu sehen. Doch es bleiben viele Probleme (ibid., 13).

 

Perls Zulassung als Psychoanalytiker wird aus formalen Gründen von der International Association of Psychoanalysis zurückgezogen. 1942 tritt Perls in die südafrikanische Armee als Psychiater ein. Auch hier findet er die Anwendung von Psychoanalyse als nutzlos. Er glaubt an seine Psychotherapie. "Am Anfang sagen die Internisten: Hinter jeder Neurose steckt ein Magengeschwür. Aber am Ende sagen sie: Perls, Sie haben recht. Hinter dem Magengeschwür steckt die Neurose." (ibid., 14).

Als die Apartheid- und Rassenpolitik in Südafrika zu eskalieren scheint, beschließen die Perls (mittlerweile Eltern von zwei Kindern), nach Amerika auszuwandern.

Fritz Perls wird von der Washington Psychatrist School eine Stelle als Lehranalytiker angeboten, unter der Bedingung, nochmals ein medizinisches Doktorat zu absolvieren. Er lehnt das Angebot ab. Mehrmals trifft Perls den Wiener Jakob Moreno, den Begründer des Psychodramas. Er übernimmt von ihm zahlreiche Anregungen, wie z.B. die Technik des "leeren Stuhls" und den Rollentausch.

Im Jahre 1950 veröffentlicht Fritz Perls mit dem Sozialkritiker, Dichter, Romancier, Dramatiker und Pädagogen Paul Goodman und einem seiner Klienten, Ralph Hefferline, das Buch "Gestalt Therapy", das zum Basiswerk der Gestalttherapie wird. Das Buch soll einen Leitfaden zu "Lebensfreude und Persönlichkeitsentfaltung" (so auch der Untertitel) sein. In der Perls´schen Neurosenlehre entsteht Krankheit durch Vermeidung (von Affekten). Unerledigte bzw. nicht erledigte Gestalten (z.B. unbewältigte Erlebnisse) behindern die weitere Entwicklung (d.h. die Bildung neuer Gestalten). Bei starker Ausprägung dieser Hemmung (Blockade) verliert der Mensch den Kontakt zu sich selbst und zu anderen. Gestalttherapie – so die Bezeichnung für die neue Therapie – auch die Bezeichnung "Existentielle Therapie" war kurz vor Veröffentlichung des Buches in Diskussion – ist der Weg, diesen Kontakt zu fördern und damit die organismische Selbst-regulation wieder in Gang zu setzen. Gestalttherapie ist jedoch mehr als eine Psychotherapierichtung; sie wird als Lebensweg verstanden.

Nach der Gründung des New York Institut for Gestalt Therapy und dem Institut of Cleveland verbringt Perls einige Jahre mit Seminaren, Workshops und neuen Veröffentlichungen. Er wechselt seinen Aufenthaltsort oft; die Reisen, die ihn auch nach Israel und Japan führen sowie die Experimente mit Drogen sind Ausdruck seiner spirituellen Suche. 1964 hat diese Reise vorerst ein Ende. In Esalen, Big Sur, Kalifornien, glaubt er, eine "Lebensgemeinschaft, einen Platz zum Leben" (Perls, 1981, 64), gefunden zu haben. In Esalen arbeiten u.a. auch Virginia Satir und Ida Rolf ("Rolfing-Methode"). Esalen wird zu einem Praxiszentrum für die dritte Welle der humanistischen Psychologie bzw. der Human-Potential-Bewegung.

Diese kollektive Suche nach Erweiterung der Selbstwahrnehmung und Selbstverwirklichung im Hier-und-Jetzt erhält in den 80-er Jahren die Bezeichnung "Westküstenstil" (fälschlicherweise, denn andere GestalttherapeutInnen der amerikanischen Westküste – etwa am Gestalt Therapy Institute of Los Angeles – entwickeln andere Anwendungsgebiete - z.B. in der klinischen Psychologie).

Lore Perls praktiziert zu dieser Zeit mit Paul Goodman in New York weiterhin eine Kombination von Einzel- und Gruppentherapien, die psychoanalytisch und klientenzentriert ausgerichtet sind. Ihre Gestalttherapie integriert auch andere Methoden; dieser "gemäßigtere" Stil wird als "Ostküstenstil" bekannt.

 

Eine vermittelnde Position nimmt die Clevelander Schule mit Miriam und Erving Polster und Joseph Zinker ein. Ihre Psychotherapie kombiniert das Awareness-Konzept mit biographischer Arbeit: Im Fluss gegenwärtiger Erfahrung reinszenieren sich unerledigte Geschäfte der Vergangenheit.

Die Polsters achten auf Körper- und Wertgrenzen und bemühen sich um einen behutsameren Umgang mit Menschen (in der Therapie) als der sogenannte "Westküstenstil". Zinker – stark vom Taoismus beeinflusst – sucht die Verbindung von Kunst, Experiment und Therapie zur Erhöhung von Awareness und Kreativität.

 

In Europa formieren sich in den 70-er Jahren die ersten Gestalttherapie-Ausbildungsgruppen. Hilarion Petzold entwirft die "Integrative Gestalttherapie", die psychoanalytische Elemente in der Tradition Sandor Ferenczis, Elemente aus der Phänomenologie, dem Existentialismus, dem Psychodrama und fernöstlichen Philosophien zu integrieren versucht. Der Einsatz von kreativen Medien sowie körpertherapeutische Methoden sind wesentliche Charakteristika dieser Orientierung.

 

Gesundheits- und Krankheitsbild in der Gestalttherapie

 

Das zentrale Thema für den Menschen ist, sich selbst zu verwirklichen und auch von der Gemeinschaft akzeptiert zu werden. Krankheit entsteht, wenn die organismische Selbstregulation unterbrochen und die Figur-Hintergrund-Regulation in chronischer Weise gestört ist. Überlastende Einflüsse aus dem Umfeld, Behinderungen bei der Entwicklung von Selbständigkeit, das Fehlen von protektiven Faktoren können die Integrationsfähigkeit des Menschen übersteigen und zu psychischer oder psychosomatischer Krankheit führen. Diese Entwicklung ist gekennzeichnet von fehlender Bewusstheit (Awareness).

Bewusstheit (Awareness)

Bewusstheit ist das Erlebnis, mit dem der Mensch in seiner Ganzheit mit sich und anderen in Kontakt steht. Es ist der wache Kontakt des Körpers mit all seinen Sinnen und der Sinne mit der Umwelt. Wahrnehmen ist ein auf Bewusstheit gegründeter aktiver Prozess, der die Wirklichkeit durch den Akt des Wahrnehmens formt und verändert. Je genauer die Wahrnehmung ausgebildet ist, desto wacher, bewusster ist ein Mensch, desto deutlicher wird die Kommunikation. Klares Wahrnehmen ist nur in der Gegenwart möglich und ist Voraussetzung für situationsgemäßes Handeln.

"Gewahrsein ist freies Erspüren dessen, was in dir auftaucht, was du tust, fühlst oder vorhast. Sie ist ein Grundelement und eine umfassende Ganzheit. Ohne Bewusstheit gibt es keine Kenntnis einer Wahlmöglichkeit" (Perls, 1976; Perls et al., 1979).

 

Die Bewusstheit umfasst drei Ebenen:

 

Interne Reize (Wahrnehmen des Selbst): körperlich, emotionale Innenreize - "ich spüre" - z.B. meinen Herzschlag, Aufregung, Hunger, Verspannungen, etc.

 

Externe Reize (Wahrnehmen der Welt): Außenreize - "ich sehe", "ich nehme außen wahr" - z.B. ich höre Musik, ich sehe das Haus, ich rieche die Blumen, spüre den Wind.

 

Intermediative Reize: Gedanken, Phantasien, Projektionen - "ich denke" – was mich beim Seminar erwartet, an die Leute, die ich treffen werde, etc.

 

Ist dem Menschen Bewusstheit auf den verschiedenen Ebenen nicht möglich, fehlt meist auch eine Verankerung im Hier-und-Jetzt. Vorherrschend sind dann Fixierungen in der Vergangenheit und/oder die Beschäftigung mit der Zukunft (z.B. Sorgen).

 

Vermeiden und "unerledigte Geschäfte"

 

"Die Vergangenheit ist vorbei, und doch tragen wir im Jetzt unseres Seins vieles aus der Vergangenheit mit uns, doch nur soweit wir ,unerledigte Situationen’ haben. Was in der Vergangenheit geschah, wurde entweder assimiliert und zu einem Teil von uns, oder wir tragen es als unerledigte Situation, als unvollendete Gestalt mit uns herum" (Perls, 1969, 67).

"Unerledigte Geschäfte" sind bei Perls unbewusste Fixierungen aus der Vergangenheit, verleugnete und unterdrückte Bedürfnisse des heranwachsenden Organismus, der zurückgehaltene Protest gegen Verlassenheit, Mangel, Unterwerfung und Missachtung, nicht ausgedrückte Trauer über einen Verlust, und die damit verbundenen Gefühle von Verzweiflung, Wut und Trauer.

Vermeiden ist der gestalttherapeutische Ausdruck für Widerstand. Durch Vermeiden hindert sich der neurotische Organismus daran, Kontakt zwischen sich und der Umwelt herzustellen. Der Neurotiker vermeidet den Kontakt mit der Gegenwart, indem er seine Bedürfnisse nicht wahrnimmt, nicht auf Bedürfnisbefriedigung sinnt (sinnvolles Denken ist Probehandeln), nicht auf Objekte zugeht (Aggression) und damit neue "offene Gestalten" schafft.

 

Kontaktvermeidung

 

Jeder Prozess – im Tagesablauf bis hin zur eigenen Persönlichkeitsentwicklung -bewegt sich zwischen den beiden Polen des Bedürfnisses nach Zugehörigkeit und Eins-Sein mit der Umwelt einerseits und dem nach Verschiedenheit und Eigenständigkeit andererseits. Um mit sich selbst und anderen kontaktfähig zu sein, ist ein Pendeln zwischen diesen beiden Polen notwendig. Dieser Kontakt kann bei neurotischen Strukturen gestört sein und verschiedene Formen annehmen:

 

Konfluenz

 

Konfluenz bezeichnet den Vorgang des Verschmelzens im Organismus-Umweltfeld, des Mitschwingens und Ineinanderfließens. Ein Kind lebt in Konfluenz mit seiner Umwelt. Es hat seine Kontaktfunktionen noch nicht entwickelt, d.h., es kann nicht unterscheiden zwischen Selbstheit und Andersheit, zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Projektion und Selbst-Ausdruck. Das Verschmelzen kann auch als ein Festhalten am Gewohnten oder als Beharren auf Traditionen in Erscheinung treten. Konfluenz im Sinne des Verschmolzenseins ist ein Kennzeichen für Kontaktlosigkeit. "Der pathologisch konfluente Mensch verknotet seine Bedürfnisse, seine Emotionen und seine Aktivitäten in ein hoffnungslos verwirrtes Knäuel, bis er sich selbst nicht mehr dessen bewusst ist, was er tun möchte und wie er sich daran hindert. Diese pathologische Konfluenz liegt vielen psycho-somatischen Krankheiten zugrunde ...die pathologische Konfluenz hat überdies schwere soziale Konsequenzen. Ein konfluenter Mensch verlangt Angleichung und weigert sich, Differenzen zu tolerieren." Perls, 1976, 57).

 

Introjektion

 

Introjektion ist die Übernahme von Fremdem ohne Prüfung und Verarbeitung durch den Organismus. Wahrend die Grenze bei der Konfluenz diffus oder nicht spürbar ist, wird diese Grenze bei der Introjektion so weit in das Feld hinausverlagert, dass Elemente des Feldes, die dem Organismus fremd sind, als ihm zugehörig erlebt werden. So können Regeln einer Gruppe übernommen werden, ohne dass sie sich mit den eigenen Vorstellungen decken.

Introjizieren hat auch eine kulturbildende Funktion, ohne die wir im Gemeinschaftsleben kaum funktionsfähig waren.

Introjektion am Beispiel des Umgangs mit Aggression:

Die von der Umwelt an mich gerichtete Forderung, nicht aggressiv zu sein, wird nicht assimilierter Bestandteil des Selbst. Sie lagert sich wie ein Fremdkörper in die Persönlichkeit ein. Als Folge wird die eigene Aggression nicht mehr spürbar (weil sie verboten ist).

Projektion

Als Projektion bezeichnet man jenen Vorgang, wenn ein Mensch die Gefühle, die er bei sich selbst nicht wahrnimmt, anderen zuschreibt, sie wie bei einem Diaprojektor auf den anderen projiziert. Dies ist der entgegen-gesetzte Dynamik wie bei der Introjektion. Die Grenzen werden so weit in den Organismus hineinverlagert, dass Teile, die dem Organismus zugehörig sind, in die Umwelt projiziert werden. Anderen Menschen werden dann Eigenschaften zugeschrieben (z.B. nachlässig, lästig, unnahbar), obwohl sie die eigene Person widerspiegeln.

 

Retroflexion

 

Die Retroflexion ist gleichsam der entgegengesetzte Prozess zur Konfluenz:

Als Retroflexion bezeichnet man das Zurückhalten von Impulsen und Aktivitäten, die auf die Umwelt gerichtet sind. Diese werden stattdessen gegen den eigenen Organismus gerichtet. Dies äußert sich im Bereich des Denkens im Grübeln, im Bereich der Emotionen und Empfindungen in Sich-Quälen oder Sich-Schädigen, im Bereich der körperlichen Reaktionen in verspannter Muskulatur oder gegen sich selbst gerichtete Bewegungen.

Der/die Gestalttherapeutin zielt darauf ab, Fixierungen zu lösen, indem die Kontaktfunktionen wieder hergestellt werden. Ein erster Schritt auf diesem Weg ist, Gegenwartsbezogenheit herzustellen.

 

Gegenwartsbezogenheit

 

Gegenwartsbezogenheit ist für Perls das wesentliche Ziel: "Für mich existiert nur das JETZT. Jetzt ist Bewusstheit, ist Wirklichkeit. Die Vergangenheit ist nicht mehr und die Zukunft noch nicht" (Perls, 1976,32). Bewusstheit kann nur im JETZT sein und sich auf reale Fakten, konkretes Verhalten, den Körper und die Umwelt stützen. GestalttherapeutInnen versuchen, die Befindlichkeit und den davon oft abweichenden Körperausdruck mit Hilfe des Awareness-Kontinuum (dem "Im-Hier-und-Jetzt-Bleiben") in Einklang zu bringen. Das ist oft schwierig, weil wir gewohnt sind, uns oft in der Vergangenheit oder in der Zukunft zu bewegen (Perls definiert die Angst als Projektion der Vergangenheit auf die Zukunft). Vergangenheit und Zukunft werden aber nicht negiert, sie kommen in den "offenen Gestalten" in der Gegenwart zum Vorschein.

GestalttherapeutInnen fragen nach dem was und wie des gegenwärtigen Erlebens eines "unerledigten Geschäftes".

 

Phasen einer Therapie /Schichten des Selbst:

 

Perls beschreibt unterschiedliche Schichten des Selbst, die den eigentlichen Kern (des Menschen) umgeben. Sein Modell dient einerseits zur Beschreibung einer Neurose bzw. von Störungen des Wachstumsprozesses (dieser Ausdruck wurde von Perls präferiert) und ist zugleich eine Darstellung des Therapieprozesses.

 

Ebene der Rollen und Spiele

 

Die äußerste Schicht dieses Persönlichkeitsmodells betrifft die Rollen und Spiele, die ein Mensch an den Tag legt. Es ist eine als ob Haltung: Erwachsene Menschen verhalten sich, als ob sie tolle Typen wären, als ob sie Kinder wären, als ob sie hilfsbedürftig wären. Die Konzepte dieser Rollen stammen von phantasierten Vorstellungen, die andere geschaffen haben. Sie sind Manipulationsmittel, um andere Menschen zu etwas zu bringen. "Ich nenne jeden Menschen neurotisch, der seine Kraft darauf verwendet, andere zu manipulieren und sich weigert, selbst zu wachsen." (Perls, 1981, 145).

Ist jemand bereit, auf das Spielen von Rollen zu verzichten, erreicht er die zweite Schicht der Persönlichkeit.

 

Angst-Schicht

 

"Wenn wir imstande sind, unser Widerstreben, unangenehme Erfahrungen anzunehmen, zu verstehen, können wir zu der nächsten Schicht kommen, der Angst-Schicht, dem Widerstand, der Abneigung dagegen, das zu sein, was wir sind." (Perls, 1980, 99). "Die hauptsächliche phobische Haltung ist, Angst davor zu haben, das zu sein, was du bist. Und es wird dich sofort erleichtern, wenn du wagst zu untersuchen, wer du bist. Du wirst feststellen, dass du sofort auf Katastrophenerwartungen stößt. "Wenn ich so bin, wie ich bin, was wird mir passieren? Die Gesellschaft wird mich ausstoßen. Wenn ich meinem Chef sage, dass er zum Teufel gehen soll, verliere ich meinen Job. Wenn ich meiner Frau sage, dass sie eine Hexe ist, schläft sie nicht mehr mit mir" (ibid., 102). Gestalttherapie ist dabei Arbeit an der Grenze.

 

Blockierungsphase ("Impasse")

 

Nun ist der schützende Panzer von gewohnten Handlungs-klischees überwunden. Der Klient versucht diesem Unlusterlebnis zu entgehen, indem er eine phobische Vemeidungshaltung einnimmt. Leere, Rat- und Ausweglosigkeit machen sich breit. "Die Blockierung ist die entscheidende Stelle in der Therapie, die entscheidende Stelle im Wachstum ." (Perls, 1974, 36). Noch fehlt die innere Unterstützung, weil authentische Selbständigkeit noch nicht erreicht ist. Dieser Zustand wird vielfach als Verwirrung und Chaos erlebt.

 

Implosionsphase

 

Die Blockierungs- und Implosionsphase stellt einen Engpass dar, in dem der Klient einem unbequemen Veränderungszwang gegenüber steht. "Sie ist eine Art Katatonie; wir ziehen und ballen uns zusammen, wir implodieren (Perls, 1974,64). "In jedem Stückchen Therapie müssen wir durch diese Implosionsphase gelangen, um an das wahre Selbst heranzukommen. Hier weichen die meisten Schulen und Therapien zurück, weil auch sie die Erstarrung fürchten". (Perls, 1980, 99).

 

Explosionsphase

 

Die Explosionsphase geht aus der Implosion hervor, sobald es zur wirklichen Berührung mit der Leblosigkeit der implosiven Schicht kommt. Perls unterscheidet vier Arten von "Explosionen": Trauer (Weinen), Freude (Lachen), Ärger (Wut), Orgasmus. Die Explosion ist einem "Aha-Erlebnis" vergleichbar, wie es sich etwa bei der Lösung einer kurz zuvor noch für unlösbar gehaltenen Aufgabe einstellt. Im psychotherapeutischen Kontext bedeutet sie eine momentane Befreiung und kann nach gründlichem Durcharbeiten der zugrunde liegenden Probleme zur Überwindung der "Sackgasse" führen.


Hilarion Petzold hat für seine Integrative Therapie diesem Prozess noch zwei weitere Phasen hinzugefügt:

 

Aufarbeitungsphase

 

Diese Phase dient dazu, die neue, erweiterte Identität erlebnismäßig zu integrieren und sich kognitiv mit dieser neuen Realität der Ganzheit auseinanderzusetzen.

Verhaltensmodifizierende Schlussphase

Hier wird kreativ-experimentell die neue Identität im Verhalten ausgelotet, erprobt und dabei gefestigt.

Gestalttherapie ist jedoch nicht – wie vielfach behauptet – auf die Veräußerung von Spannungen ausgerichtet. "Gestalttherapie ist auch keine dramatische Ausdrucksmethode, die vor allem auf Entladung von Spannung abzielt. Spannung ist Energie, und Energie ist ein zu kostbarer Stoff, um ihn loszuwerden. Energie muss verfügbar werden für die nötigen und wünschenswerten Verhaltensänderungen. Es ist Aufgabe der Therapie, ausreichend Stützung für die Umorganisation und Umkanalisierung der Energie zu entwickeln", schreibt Lore Perls (1978, 2)

 

Grundprinzipien der Gestalttherapie

 

"Gestalt ist keine Technik, kein therapeutisches Schnellverfahren, sondern ein ernsthafter Weg sich selbst zu finden und zu wachsen. Wachstum ist aber ein Prozess, der Zeit braucht. Gestalttherapie erfordert eine Haltung, die nicht in zwei Monaten erworben wird, sondern ein langes ernstes Training, in dessem Zentrum die Entwicklung der Persönlichkeit steht." (nach Petzold, in :Perls, 1976, 9).

Gestalttherapie versteht sich als ganzheitliche, gegenwartsbezogene Betrachtungs- und Vorgehensweise, die den ganzen Menschen in seinen kognitiven, seelischen und körperlichen Aspekten sowie mit seinen lebensgeschichtlichen und aktuellen sozialen Verbindungen betrachtet. Ziel ist es, die abgespaltenen Teile in die Persönlichkeit zu reintegrieren, die Kontaktstörungen zur Umwelt und die Blockierungen im Erleben, Wahrnehmen und Handeln bewusst zu machen und die vorhandenen Selbstheilungskräfte freizusetzen. Damit soll die Fähigkeit, für das eigene Leben Verantwortung zu übernehmen wiederhergestellt und kreative Potentiale entwickelt werden.

Die ausformulierten Regeln und Methoden der Gestalttherapie sind als Bedingungen und Beispiele zu verstehen, einen Menschen (bzw. sich selbst) stärker in die Gegenwart zu bringen, die Kontaktfunktionen zu erweitern und Bewusstheit zu schaffen.

Die Grundtechnik besteht darin, dem Klienten nicht Dinge zu erklären oder zu deuten, sondern ihm Möglichkeiten bereitzustellen, sich selbst zu verstehen und zu entdecken.

Die Techniken der Gestalttherapie lassen sich weitgehend zwei Gruppen zuordnen, den "Regeln" ("rules") und den "Spielen" ("games").

 

"Regeln" der Gestalttherapie

 

"Die Philosophie der Regeln soll uns effektive Mittel dafür liefern, das Denken mit dem Fühlen in Einklang zu bringen. Sie sind dazu gedacht, uns beim Aufdecken von Widerständen zu helfen, eine größere Bewusstheit zu fördern, kurz, den Reifungsprozess zu unterstützen." (Perls, 1980, 194).

 

Regel 1: Das Prinzip des Jetzt

 

Um das bewusste Erleben im Jetzt zu fördern, wird der Klient/die Klientin bestärkt, Mitteilungen im Präsens zu formulieren. als Experiment kann der/m KlientenIn vorgeschlagen werden, Formulierungen seine Situation betreffend mit "Hier-und-Jetzt", "Jetzt merke ich gerade" oder "Dabei fühle ich" zu beginnen. "Von hier aus können wir weiter differenzieren, was von dem Erleben im Jetzt für euch annehmbar ist, wenn ihr weglaufen möchtet, wenn ihr bereit seid, euch selbst zu ertragen, wenn ihr fühlt, dass ihr ertragen werdet, und so weiter. All dies wird in der Wirklichkeit untersucht, hier in unserer Begegnung miteinander." (ibid., 95)

 

Regel 2: Die Anwendung des Bewusstheitskontinuums

 

Das Bewusstheitskontinuum ist erforderlich, damit der Organismus dem gesunden Gestaltprinzip folgen kann., dass die wichtigste unerledigte Situation (z.B. ein Konflikt) in den Vordergrund treten kann und erledigt werden kann.

Dieses Bewusstwerden lässt sich mit einer Reihe von Fragen evozieren: "Was tust Du?"; "Was fühlst Du?"; Was möchtest Du?"; "Was vermeidest Du?"; "Was erwartest Du?". Der/die KlientIn kann diese Fragen nur soweit beantworten, wie seine Bewusstheit ihm/ihr das ermöglicht. "Sie werfen ihn auf seine Möglichkeiten zurück, bringen ihm die Erkenntnis seiner eigenen Verantwortung und fordern ihn auf, seine Kräfte und sein Vermögen an Self-Support zu erforschen". Sie geben ihm ein Gefühl seiner selbst, weil sie sich an sein Selbst wenden." (Perls, 1976, 93f).

 

Regel 3: Ich und Du

 

Mit diesem Prinzip wird versucht, echte Kommunikation herzustellen. Oft verhält sich ein Klient so, als spreche er gegen eine Wand. Fragen wie "Wem erzählst Du das" dienen dazu, direkten Kontakt herzustellen. Nur in neuen Erfahrungen mit anderen Menschen liegt die Chance einer Veränderung.

Gestalttherapie soll nicht nur internen Spaltungen überwinden helfen, sondern Menschen durch lebendige Kommunikation miteinander verbinden.

 

Regel 4: Ich-Sprache statt Es-Sprache

 

In der Gestalttherapie wird insgesamt auf den Ausdruck des Klienten/der Klientin geachtet, daher auch auf die Sprache. Bedeutend ist, wie Ich-Nahe die Botschaften formuliert werden. So macht es für den Prozess einen erheblichen unterschied, ob einer Person seine Situation mit "Die Tasse ist mir aus der Hand gefallen" oder mir "Ich habe die Tasse fallen lassen" beschreibt. Bei einer Ich-bezogenen Sprache zeigt sich die Person und trägt auf diese Weise zur Entwicklung der Persönlichkeit bei. Therapeutische Strategie ist, zuerst dem/r KlientIn erkennen zu lassen, ob und wann er/sie vor dem Gebrauch des Wortes ‘Ich’ zurückschreckt. Später kann die ‘Es’-Sprache in ‘Ich’-Sprache (zuerst im Stillen, dann laut) übertragen werden. Die Person erkennt dann den Unterschied zwischen: "Ich hab ein schlechtes Gedächtnis", "Ich hab es vergessen" oder sogar "Ich wollte mich nicht erinnern".

 

Regel 5: Fragen stellen

 

"Wer genau hinhört, wird oft feststellen, dass der Fragesteller nicht wirklich Informationen braucht oder dass die Frage nicht notwendig ist oder dass sie Faulheit oder Passivität des Patienten enthüllt. Der Therapeut kann dann etwa sagen: "Mach aus der Frage eine Aussage" (Perls, 1980, 95).

Der Therapeut/die Therapeutin benutzt hingegen eher die Technik, Fragen zu stellen, als Feststellungen zu treffen, sodass die Aufgabe zu Erkennen und Handeln beim Klienten/bei der Klientin bleibt. Die Fragen sind jedoch in Wirklichkeit Übersetzungen der eigenen Beobachtungen.

 

Regel 6: Beim Gefühl bleiben

 

Der/die GestalttherapeutIn unterstützt den Klienten/die Klientin bei der Konzentration auf die eigenen Gefühle. In Schlüsselmomenten – wenn der Klient/die Klientin ein unangenehmes Gefühl oder eine unangenehme Stimmung offenbart versucht der/die TherapeutIn, den KlientInnen diese Gefühle noch bewusster zu werden (etwa mittels der Intervention: "Kannst du bei diesem Gefühl bleiben"). Körpergefühle, Vorstellungen, Gedanken Stimmungen werden im Hier-und-Jetzt fokussiert. Ziel ist auch hier Bewusstheit auf allen (drei) Ebenen (siehe oben).

 

Regel 7: Interpretationen (Deutungen) vermeiden

 

Für die therapeutische Arbeit mit Deutungen ist große Vorsicht geboten, denn sie bergen zweierlei Gefahren: Erstens können sie zu rein kognitivem "Erklären" führen anstatt ein ganzheitliches "Verstehen" der KlientInnen von sich selbst zu fördern. Und zweitens können sie die KlientInnen verleiten, die Ansichten der TherapeutInnen zu introjizieren (vgl. Perls, L. in: Perls u. Polster 1992, 202), anstatt "sich selbst zu entdecken" (Perls 1974, 129). Deutungen sind daher möglichst durch Beschreibungen des "Offensichtlichen" zu ersetzen (ibid, 61; 1976, 201).

Der/die KlientIn muss "zum Partner beim Deuten gemacht werden" (Perls et al. 1979, 116f.), der/die TherapeutIn "sollte nur sehr wenig deuten, dafür aber das Instrumentarium der Deutung dem Patienten übergeben".

 

Spiele

 

Auf der Suche nach Gewahrsein, Kontakt und Integration sind Spiele/Übungen hilfreich, bei deren Auswahl keine Grenzen gesetzt sind, soweit sie dem Ziel dienen, den Menschen zu sich (und anderen) zu führen.

Folgende Übungen sollen als Beispiele dienen:

 

Dialogspiele

 

In dem Bemühen nach Integration wird der/die KlientIn mit seinen/ihren Spaltungen konfrontiert. Eine typische Spaltung ist die zwischen Top-Dog und Under-Dog, vergleichbar mit dem in der Psychoanalyse beschriebenen Konflikt zwischen dem ES und dem Über-ICH.

Der "heiße Stuhl", eine aus dem Psychodrama übernommene Technik, die von vielen GestalttherapeutInnen verwendet wird, dient auch dazu, dem Protagonisten beide Seiten des Konfliktes bewusster zu machen und die beiden Pole (zu einem späteren Zeitpunkt) in Kontakt zu bringen. Der "heiße Stuhl" wird dabei als Mittel zur Identifikation und Projektion benutzt.

 

Beispiel für ein Dialogspiel:

Dialog mit dem Symptom: Schließen Sie die Augen und denken Sie an irgendein körperliches Symptom, das Sie belästigt. Wenn möglich, denken Sie an ein solches, das Sie gerade eben empfinden. Wenn Sie momentan kein Unbehagen spüren, denken Sie an ein Symptom, das Sie in der Regel oder wiederholt quält, und versuchen Sie, sich das Gefühl dieses Zustandes zu vergegenwärtigen. Richten Sie die Aufmerksamkeit auf das Symptom und nehmen Sie es genau und in seinen Einzelheiten wahr... Welche Teile Ihres Körpers sind davon betroffen? Und was für einzelne Empfindungen haben Sie darin?...Achten Sie besonders auf Gefühle von Schmerz und Spannung... Versuchen Sie, jedes Unbehagen ganz zu akzeptieren und lassen Sie es in die Wahrnehmung treten... Sehen Sie zu, ob Sie das Symptom verstärken können... und nehmen Sie die Art wahr, wie Sie das tun...und nun versuchen Sie, es durch irgendeine Lockerung zu vermindern... Nehmen Sie sich Zeit, das Symptom eingehender zu erfassen und seine Einzelheiten wahrzunehmen...

Nun aber werden Sie das Symptom. Wie sind Sie, was sind Ihre Besonderheiten, und womit belästigen Sie diesen Menschen?... Reden Sie ihn an und erzahlen Sie ihm, was Sie ihm antun, und wie Sie erreichen, das er Sie fühlt?... Was sagen Sie?... Wie verhalten Sie sich als Symptom, und wie ist Ihnen dabei zumute?...

Jetzt werden Sie wieder Sie selbst und antworten Sie dem Symptom ...Was sagen Sie und wie fühlen Sie sich dabei?... Was geht zwischen den Gesprächspartnern vor sich?...Werden Sie wieder zum Symptom und setzen Sie den Dialog fort...Wie fühlen Sie sich jetzt und was sagen Sie?... Erzahlen Sie der Person, was Sie für sie tun... Inwiefern sind Sie ihr nützlich? Vielleicht erleichtern Sie ihr das Leben?... Können Sie ihr behilflich sein, irgendetwas zu vermeiden, und was konnte das sein?... Was können Sie ihr sonst noch sagen?...Nun werden Sie wieder Sie selbst. Was antworten Sie jetzt?...

Setzen Sie den Dialog eine Zeitlang fort und wechseln Sie die Rollen, so dass Sie immer der jeweils Sprechende sind. Sehen Sie zu, was Sie voneinander erfahren können, indem Sie miteinander reden...Halten Sie die Augen geschlossen und verarbeiten Sie das Erlebte...Offnen Sie die Augen und tauschen Sie das Erlebnis mit den anderen aus, sprechen Sie in der ersten Person Präsens, als geschehe alles eben jetzt. Ein Symptom hat Ihnen oft eine Menge zu sagen, wenn Sie sich die Zeitnehmen, ihm Aufmerksamkeit zu schenken und seine Signale anzuhören. Ein Symptom sendet seine Signale gleichzeitig an Sie und an die Menschen Ihrer Umgebung. Es ist nicht nur Ausdruck eines entfremdeten Teils Ihrer selbst, sondern es hat auch eine starke Wirkung auf die andern Menschen (alle Übungen nach Stevens, 1975).

 

Die Runde machen

Dieses Spiel wird vorwiegend in der Gruppenarbeit verwendet (in der Einzelarbeit kann die Situation imaginiert werden). Der/die TherapeutIn schlägt dem/der KlientIn vor, mit dem geäußerten Gefühl jedem einzelnen Mitglied der Gruppe gegenüberzutreten.

 

Unerledigte Geschäfte

Dem/der KlientIn wird vorgeschlagen, die offene Gestalt, die ihn/sie (nach dem Figur-Hintergrund- Prinzip) weiter beschäftigt, zu einem Abschluss zu bringen. Dazu wird die Situation wieder dort aufgenommen, wo die aktive Beschäftigung endete, oder an der Stelle, mit der der/die KlientIn gegenwärtig in Kontakt steht.

 

Verantwortung übernehmen

Dieses Spiel stützt sich auf die Elemente des Bewusstheitskontinuums. Wahrnehmungen werden dabei als Handlungen betrachtet. Der/die KlientIn wird z.B. ersucht, an jede Feststellung den Satz "...und ich übernehme die Verantwortung dafür" anzuschließen.

»Ich muss - »Ich entscheide mich für -« Bitte setzen Sie sich einem Partner gegenüber. Während der ganzen Übung sehen Sie einander in die Augen und reden sich gegenseitig an. Sagen Sie beide abwechselnd Sätze zueinander, die mit den Worten »Ich muss-« anfangen. Stellen Sie eine ganze Reihe auf von dem, was Sie tun »müssen«. (Wenn Sie die Übung allein machen, sagen Sie die Sätze laut vor sich hin und stellen Sie sich dabei einen Ihnen bekannten Menschen vor, dem Sie sie sagen). Nach etwa fünf Minuten ersetzen Sie in jedem Satz die Worte »Ich muss —« durch »Ich entscheide mich für —«. Sagen Sie die Sätze abwechselnd, im genauen Wortlaut wie vorher, nur mit der einen Abänderung. Realisieren Sie bitte, dass Sie wirklich die Wahl haben, auch dann, wenn sie nur zwei unerwünschte Alternativen bietet. Lassen Sie sich Zeit, wahrzunehmen, was Sie empfinden, wenn der Satz nun mit »Ich entscheide mich für -« anfängt. Dann wiederholen Sie ihn und fügen Sie sofort etwas an, das Ihnen einfällt. Z.B.: »Ich entscheide mich, meine Arbeit beizubehalten. Ich fühle mich sicher und geborgen.« Führen Sie dies etwa fünf Minuten lang weiter und dann erzählen Sie einander, was Sie dabei empfunden haben. Haben Sie das klare Gefühl, die Verantwortung für eine freie Entscheidung zu übernehmen, ein wenig aus der Selbsthypnose zu erwachen, mehr Kraft zu haben und mehr offene Möglichkeiten vor sich zu sehen?... -

 

Geheimnisse

Dieses Spiel versucht, Schuld- und Schamgefühle aufzugreifen. Es wird nicht nach dem Geheimnis selbst gefragt, sondern nach den Folgen, die bei seiner Offenbarung befürchtet (projiziert) werden. Dieses Spiel kann auch in Paar- oder Gruppensitzungen angewandt werden

Geheimnisse Schließen sie die Augen und denken Sie drei Geheimnisse über sich selbst aus, die Sie dem Partner zu allerletzt mitteilen würden. Diese drei Dinge könnten nach Ihrer Meinung die Beziehung zu ihm zerstören. Lassen Sie sich Zeit, die drei Geheimnisse auszuwählen... Nehmen Sie wahr, was während dieses Auswählens in Ihnen vorging. An welche Dinge dachten Sie, und welche haben Sie verworfen? Stellen Sie sich vor, dass Sie die Geheimnisse im stillen dem Partner mitteilen, und denken Sie sich auch seine Antwort aus... Was für eine Katastrophe erwarten Sie? Was wäre das Schlimmste, das geschehen könnte?... Öffnen Sie die Augen und sagen Sie dem Partner — ohne ihm den Inhalt des Geheimnisses mitzuteilen —, was für eine Antwort Sie von ihm erwarten, wenn Sie den folgenden Satz — für jedes Geheimnis einen Satz — beenden würden: »Wenn ich dir mein Geheimnis mitteilte, so würdest du —«

Jetzt sagen Sie ihm, was für einen Vorteil Sie davon haben, die Geheimnisse zu verschweigen. Achten Sie bei diesen Worten auf Ihr Gefühl und auf Ihre Art zu sprechen. Stellen Sie nur Tatsachen fest, oder entschuldigen Sie sich, prahlen Sie oder reizen Sie ihn?... Danach sagen Sie dem Partner, was für Nachteile Ihnen das Verschweigen bringt. Was verlieren Sie, wenn Sie diese Dinge geheim halten? Nehmen Sie wieder Ihr Gefühl wahr und die Art, wie Sie sprechen ...

Jetzt prahlen Sie mit den Geheimnissen und mit Ihrer Geschicklichkeit, sie zu bewahren ...Denken Sie im stillen darüber nach, wie Geheimnisse die Beziehung zwischen Ihnen trüben... Was zum Beispiel empfinden Sie, wenn Ihr Partner vor Ihnen Geheimnisse hat?... Wie wird der Partner durch Ihre Geheimnisse manipuliert, und wie erzeugen sie Abstand und Misstrauen?...

Sagen Sie einander, wie Ihre Geheimnisse die Beziehung zwischen Ihnen verdunkeln. Wenn Sie das Risiko nicht scheuen, das eine oder andre Ihrer Geheimnisse aufzudecken, dann tun Sie es und sehen Sie zu, wie Ihr Partner in der Realität reagiert. Vergleichen Sie diese Reaktion mit Ihrer Erwartung einer Katastrophe...

 

Die Projektion spielen

Viele eigene Wahrnehmungen sind Projektionen. So kann eine Person, die anderen nicht traut, aufgefordert werden, die Rolle eines Menschen zu spielen, der nicht vertrauenswürdig ist, damit er seinen eigenen Konflikt in diesem Bereich entdecken kann. (vgl. Perls, 1980, 200)

 

Umkehrungen

Umkehrungen werden dazu verwendet, bewusst zu machen, dass offen gezeigtes Verhalten oft das Gegenteil von zugrunde liegenden latenten Impulsen ist. In dem der Fokus verschoben wird (auf den anderen Pol) kann Kontakt zu den Teilen, die bisher nicht wahrgenommen oder abgelehnt wurden, entstehen.

Umkehrung der vorherrschenden Charakterzüge Denken Sie sich zwei oder drei Eigenschaftswörter, mit denen Sie sich selbst am treffendsten beschreiben würden; drei Wörter, die am besten aussagen, was Sie von Ihrer Person halten... Nehmen Sie sich Zeit zur Auswahl... Jetzt denken Sie sich das Gegenteil dieser Wörter... Werden Sie zu einer Person, die diese gegenteiligen Eigenschaften hat... Beschreiben Sie sich ... wie sind Sie... wie fühlen Sie sich dabei?... Wie läuft Ihr Leben ab?... Was ist Ihnen an dieser Rolle angenehm, was unangenehm? ... Lassen Sie sich Zeit, in richtige Fühlung mit der Tatsache zu kommen, dass Sie diese Art von Mensch sind... Werden Sie nun wieder Sie selbst und vergleichen Sie Ihre Erlebnisse in beiden Rollen...

 

Der Rhythmus von Kontakt und Rückzug

Rückzug wird in der Gestalttherapie nicht als Widerstand behandelt, der überwunden werden muss, sondern als rhythmische Reaktion. Ziel ist, die inneren Bedürfnisse mit Kontakt und Rückzug in Einklang zu bringen. Sowohl die Fähigkeit zum Kontakt als auch zum Rückzug werden in der Gestalttherapie gefördert.

Kontaktaufnahme Ich ersuche Sie, sich einem Menschen, den Sie nicht gut kennen, gegenüberzusetzen und ihn schweigend anzusehen. Betrachten Sie einige Minuten lang sein Gesicht und versuchen Sie, diesen ändern Menschen zu sehen... Nehmen Sie alle Einzelheiten seines Gesichts wahr - die Form, die Größe, die Farbe, die Lineatur aller einzelnen Züge... Lassen Sie Ihre Augen umhergehen und versuchen Sie, mehr über Züge und Ausdruck dieses Gesichts zu entdecken...

 

Probehandeln

Ein großer Teil des Denkens besteht aus innerem Probehandeln und das Vorbereiten auf das Spielen von Rollen. "Lampenfieber" nennt Perls die Angst, die Rolle nicht befriedigend spielen zu können. Die Übungen dienen hier dazu, sich den Zweck der Vorbereitung und damit der Ängste (und der Selbstbewusstseindefizite) bewusst zu werden.

Probe und Lampenfieber Halten Sie die Augen geschlossen. Nach etwa drei Minuten werde ich einen von Ihnen auffordern, aufzustehen und den Teilnehmern Ihrer Gruppe, die Ihnen fremd sind, von sich zu erzählen, aufrichtig und einigermaßen genau ... Bitte stellen Sie sich in dieser kurzen Ihnen verbleibenden Zeit vor, Sie seien der Aufgerufene und Sie hätten jetzt noch die Möglichkeit, zu entscheiden und im stillen sich vorzusagen, was Sie der Gruppe mitteilen wollen... Stellen Sie sich vor, Sie stünden vor der Gruppe und sähen all die Leute vor sich... Was werden Sie über sich sagen?... Nehmen Sie Ihren Körper wahr - was geht da drinnen vor sich?... Spannung, Nervosität, Aufregung? ...

Bleiben Sie mit diesen physischen Empfindungen in Fühlung und geben Sie acht, welche Wandlung sich dort vollzieht, wenn ich Ihnen nun mitteile, dass ich Sie nicht aufrufen werde, vor der Gruppe zu stehen und über sich zu berichten... Nehmen Sie wahr, was jetzt im Körper geschieht........

 

Übertreibung

Auch dieses Spiel ist mit dem Bewusstheitskontinuum eng verbunden. Der/die KlientIn wird etwa angeregt, unliebsame Erscheinungen (z.B. Ticks) oder Verhalten, welches sonst zu vermeiden versucht bzw. versteckt wird, zu übertreiben. Damit kann in diesem Moment Kontakt zu dem abgelehnten Teil der Persönlichkeit entstehen.

 

Wiederholungs-Spiel

Oft machen Menschen wichtige Bemerkungen, verlassen aber dann schnell das Thema bzw. weichen auf andere Themen aus. Der/die GestalttherapeutIn lässt den/die KlientIn die Worte zu wiederholen (wenn nötig, auch mehrmals), unter Umständen auch mit lauterer Stimme. Der/die KlientIn hat so die Möglichkeit, den Bedeutungsgehalt seiner/ihrer Worte zu erfahren.

"Einen Satz in den Mund legen"

Oft kommt der/die TherapeutIn zu dem Schluss, dass bei dem/der KlientIn eine Einstellung durchscheint, die nicht offen vertreten wird. Der/die TherapeutIn schlägt nun dem/der KlientIn einen Satz vor, den diese/r (eventuell mehrmals) aussprechen soll. Der/die KlientIn prüft dann seine Reaktion auf diesen Satz und kann gegebenenfalls diesen Teil an ihm/ihr besser integrieren.

 

Spiele in der Paartherapie

Für die Paartherapie eignen sich eine Reihe von Spielen/Übungen, die Bedürfnisse, Wünsche oder Konflikte verdeutlichen, Projektionen annehmen oder Verletzungen ausdrücken lassen.

Folgende Übung ermöglicht einen lebendigen Umgang mit Kränkungen:

Kränken und Gekränktsein Ich bitte Sie, zu sagen, wodurch Sie sich verletzt fühlen. Sehen Sie den Partner an und sagen Sie abwechselnd am Anfang eines jeden Satzes: »Ich bin gekränkt, weil du -« Zählen Sie vielerlei auf. Wiederholen Sie jenen Satz, bis Ihnen wieder etwas einfällt. Nehmen Sie dabei immer Ihre Haltung und den Ton Ihrer Stimme wahr...

Machen Sie nun aus jeder der vorhin aufgezählten Kränkungen eine Anschuldigung. Statt zu sagen: »Ich bin gekränkt —« sagen Sie jetzt: »Du hast mich gekränkt, indem du oder als du -« Nehmen Sie Ihr Gefühl, Ihre Haltung und den Ton Ihrer Stimme wahr, während Sie die neuen Sätze aussprechen...

Jetzt sollen Sie den Ärger ausdrücken und den Wunsch, sich zu rächen, der hinter diesen Anschuldigungen steht. Statt zu sagen: »Du hast mich gekränkt-« sagen Sie jetzt: »Ich möchte dich kränken, weil du -« Und wieder achten Sie auf Körperhaltung, Stimme und Gefühl, wenn Sie so sprechen...

Teilen Sie Ihrem Partner mit, was Sie erleben... Immer, wenn jemand sagt, er sei »verletzt« oder »gekränkt«, können Sie das Wort »nachtragend« dafür einsetzen. Gekränktsein birgt in sich den Wunsch, sich zu rächen und dem anderen auch eine Kränkung zuzufügen. Statt den Ärger offen auszusprechen, prangert der Betreffende die Ungerechtigkeit an, die ihm angetan wurde, so daß der andere sich nun schuldig fühlt und es gut zu machen sucht. Die Falschheit, die im Gekränktsein liegt, kann leicht entlarvt werden, wenn man den Betreffenden fragt, an welcher Stelle seines Körpers er sich denn verletzt fühle. Er wird vergeblich suchen. Wenn er mit seinen körperlichen Empfindungen wirklich in Fühlung kommt, wird er nur den schwelenden Ärger entdecken.

 

Verwendete Methoden in der Gestalttherapie

 

In der Gestalttherapie, die als Einzeltherapie, Gruppentherapie, Paartherapie, Gruppenworkshops und als Kibbuz (längerdauernde Gruppenworkshops) angeboten wird, kommen eine Reihe von Methoden zum Einsatz.

 

Kreative Medien

Zusätzlich zum Gespräch werden kreative Medien, wie Musik(instrumente), Zeichnen, Modellieren (z.B. mit Ton), Schreiben oder die Arbeit mit Symbolen verwendet. Wichtig dabei ist, dass die verwendeten Medien dem Interesse des Therapeuten/der Therapeutin entsprechen bzw. diese(r) damit selbst geübt ist.

Traumarbeit. Für Perls ist der Traum der unmittelbarste Ausdruck der Existenz des Menschens. Im Traum zeigen sich die verschiedenen Teile der Persönlichkeit, und es gilt, diese projizierten, auseinander gebrochenen Teile der Persönlichkeit wieder zu eigen zu machen. Der/die GestalttherapeutIn konfrontiert den/die KlientIn, sich mit den unterschiedlichen Bestandteilen des Traumes zu identifizieren. Etwa: "Sei die Puppe aus deinem Traum. Welchen Ausdruck hat sie? Stell dir vor, du bist die Puppe." Aus den verschiedenen Einzelstücken ergibt sich eine harmonische Gestalt; die Bruchstücke werden nun als zugehörig erlebt und (wieder) in die Gesamtpersönlichkeit integriert.

 

Körperarbeit

Wahrnehmung körperlicher Empfindungen und Vorgänge sowie Körperübungen sind in der Gestalttherapie von großer Bedeutung.

Mit Hilfe kreativer Techniken, Aufgabenstellungen und Übungen werden in selbsterfahrungsbezogener Arbeit Zugänge zur eigenen Körperlichkeit aufgezeigt. Hierzu wurden in den letzten Jahrzehnten Methoden geschaffen, die etwa auf der Arbeit von Ida Rolf oder Wilhelm Reich basieren (z.B. Points and Positions - Arbeit).

 

Experimente

In kleinen Experimenten werden neue Erfahrungen gemacht und eingeübt Zuerst im Rollenspiel in der Therapie, dann in ihrer Alltagswirklichkeit: sich Hilfe holen, sich auch mal etwas gönnen, wieder einmal ausgehen, sich durchsetzen zu können, etc.

In den letzten Jahren wurden (auch in den Ausbildungen) Methoden anderer Therapierichtungen in die Gestalttherapie integriert (z.B. Gestalt-Familientherapie, Aufstellungsarbeit, Gestaltarbeit bei Traumata, transpersonale Psychologie, etc.).

 

Gestalt in der Beratung

 

Gestaltarbeit gründet sich auf die Gestalttherapie, der Integrativen Therapie (Petzold), der analytischen Therapie und der Gruppendynamik, aber auch auf systemische Ansätzen. Eine zentrale Stellung nimmt die Förderung der Kreativität ein, die zur Überwindung von Blockaden und zur Problemlösung, aber auch für die Gestaltung sozialer Beziehungen notwendig ist. Der Gestaltansatz soll Menschen dazu anregen, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und ihrer Entwicklung freien Lauf zu lassen.

Einige der Gestalttherapie eigene Prinzipien und verwendete Techniken (die auch in diesem Skriptum vorgestellt wurden) eignen sich jedoch nicht für Beratungen. So bleibt insbesondere das für den sogenannten Westküstenstil der Gestalttherapie typische Frustrieren des Klienten mit dem Ziel, schneller die Ebene des Impasses (der Blockierung) zu erreichen, dem Gestalttherapeuten/der Gestalttherapeutin vorbehalten. Hervorragend eignen sich jedoch die von Lore Perls ("Ostküstenstil") und der europäischen Gestalttradition entwickelten beratung

des Unterstützens und des Förderns von Ressourcen.

Entscheidender als die Technik ist jedoch die Frage, inwieweit der/die BeraterIn die Gestaltprinzipien – Hier-und-Jetzt-Bezug, Prozess-Orientierung, Gewahrsein, Ganzheitlichkeit, Erlebnisorientierung – selbst leben und in seine/ihre beraterische Identität integrieren kann.

Ziele der Gestaltberatung sind:

bulletAusweitung von Bewusstheit bulletErweiterung und Vertiefung der Kontaktfähigkeit bulletWiederentdecken der eigenen Kreativität bulletRessourcenerweiterung bulletLebensfreude und Sinnlichkeit bulletSelbstbewusstsein und Selbstverantwortung

Das vorrangige Anliegen der Gestaltberatung ist also nicht das Lösen von Problemen, sondern die Erweiterung der Bewusstheit und der Handlungs-möglichkeiten des Klienten/der Klientin (Fuhr, 1999, 1008). Die Bearbeitung von Lösungsmöglichkeiten ist dabei nicht ausgeschlossen, die Beratungsarbeit konzentriert sich aber auf die Erforschung der Problemsituation und der Bedeutungsfindung der Problemsituation im Lebenskontext.

Berater-Klient-Beziehung

Der/die BeraterIn folgt dem gestaltischen, dialogischen Prinzip. Er/sie tritt nicht als ExpertIn auf, sondern ist Teil des Geschehens.

Beraterische Diagnostik

Wie der Gestalttherapeut folgt auch der Gestaltberater bei der Diagnostik einem dialogischen Prinzip. Mit dem Klienten/der Klientin werden Ressourcen und Belastungen im Hier-und-Jetzt ausfindig gemacht.

Hierbei eignet sich insbesondere das von Petzold entwickelte 5-Säulen- Modell der Identität:

 

Die 5 Säulen der Identität (Petzold&Orth, 1994, Petzold&Matthias, 1982)

 

Säule der Leiblichkeit:

Körperliche und psychische Integrität, Sexualität, Selbstliebe, Genussfähigkeit.

 

Säule des sozialen Netzwerkes

Soziale Beziehungen, Partnerschaft, Familie, Freundschaften, Einbindung in ein tragendes soziales Umfeld.

 

Säule der Tätigkeit

Kontrolle über eigene Lebensbedingungen, Selbstbestimmung und

Autonomie.

 

Säule der materiellen Sicherheiten

Allgemeine soziale Absicherung, Arbeitsplatz, Wohnung, finanzielle Voraussetzungen.

 

Säule der Werte

Lebensziele, Wünsche, Träume, Sinn des Lebens, Glaube, Religion.

 

Unter Verwendung dieses Modells können die gegenwärtigen Ressourcen und Belastungen des Klienten/der Klientin ermittelt sowie Zielformulierungen vorgenommen werden.

Erforschen der Problemsituation

Den Gestaltprinzipien folgend wird nicht "mit Problemen", sondern mit Personen gearbeitet. Der/die BeraterIn akzeptiert die/den Klientin in ihrem/seinen So-Sein einschließlich seiner Problembestimmung. Ziel des Beratungsprozesses ist es, zu einer für BeraterIn und KlientIn stimmigen Problemdefinition zu gelangen. Dabei

soll klar werden, wo der Klient persönlich von dem Problem betroffen ist- worunter er leidet, wovor er Angst hat, was ihn herausfordert soll der eigene Beitrag zur Entstehung und Aufrechterhaltung des Problems deutlich werden bzw. soll der Anteil des Klienten/der Klientin für das Problem erkennbar sein, gleichgültig, ob der/die KlientIn diese Mitverantwortung voll akzeptieren kann oder nur kognitiv einsehen kann ist es wichtig, die veränderbaren Anteile an der problematischen Situation in der Problemdefinition sichtbar werden zu lassen lässt sich eine gute Problemformulierung mit sehr einfachen Worten ausdrücken. Komplizierte Problemformulierungen berühren meist nicht das Wesentliche und sie erschweren auch den Zugang zum Problem und seiner Veränderung (vgl. Fuhr, 1999, 1011).

 

Der Beratungsprozess

 

Phasen des Gestaltberatungsprozesses (Fuhr&Gremmler-Fuhr, 1991)

 

Orientierung

In der ersten Phase des Beratungsgesprächs sollen BeraterIn und KlientIn miteinander in Kontakt kommen. Der/die BeraterIn versucht wahr-zunehmen, in welcher Stimmung, emotionalen Verfassung sich der/die KlientIn befindet, welche Ängste und Sorgen ihn/sie beschäftigen und auch, welche positiven Impulse (Freuden) der/die KlientIn zeigt.Auch die Befindlichkeit des/der Beraters/Beraterin ist von Bedeutung: die eigene Stimmung, Konzentrationsvermögen, Sympathie zum/zur KlientIn. In dieser Phase bilden sich erste Interessen heraus – bestimmte Aspekte, die der/die KlientIn erwecken Neugier, eventuell äußert auch der/die KlientIn Bedürfnisse. Der/die BeraterIn versucht, den/die KlientIn zum Verstehen der Situation und zur gemeinsamen Erarbeitung von Handlungs-alternativen zu ermutigen.

 

Bestandsaufnahme

Die Bestandsaufnahme besteht aus dem gemeinsamen Erforschen der Problemsituation. Dies kann durch weitere Informationen, aber auch durch verstärktes Gewahr-Werden erreicht werden. Am Ende dieses Prozesses steht – idealtypisch – die Problembestimmung, die der/die KlientIn gemeinsam erarbeitet haben.

 

Bedeutung

In dieser Phase wird mit dem Klienten/der Klientin ein tiefergehendes Verständnis der Bedeutung des Problems angestrebt. Wie belastend ist das Problem? Wovon hängt die Lösung ab? Welche Menschen sind davon betroffen? Wo gibt es Handlungsmöglichkeiten? Dabei wird auch der biographische Hintergrund von Bedeutung bzw. die Einbettung des Problems in die Geschichte der Person.

 

Perspektive

Nach der Problemerfassung können nun Unterstützungsmöglichkeiten aus den Umfeld herangezogen, Handlungsmöglichkeiten besprochen und Alternativen erarbeitet werden. Dabei ist Kreativität des Klienten/der Klientin und des Beraters/der Beraterin gefragt. Der/die KlientIn soll dabei die Handlungshoheit und Entscheidungen über den weiteren Verlauf behalten. Der/die BeraterIn hat nicht in eine bestimmte zu drängen, da der/die KlientIn auch die Konsequenzen für die Entscheidung tragen muss.

Ein Ergebnis kann auch sein, dass der/die KlientIn keine Schritte zur Problemlösung unternimmt. Vielleicht hat sich auch die Einschätzung im Hinblick auf das Problem im Zuge des Beratungsprozesses verändert.

(Phasen des Gestaltberatungsprozesses unter Verwendung von Fuhr, 1999)

Das wäre nicht verwunderlich, denn – und das ist die Maxime des Gestaltansatzes (wie auch anderer humanistischer Richtungen):

 

Das Erkennen der eigenen Wirklichkeit schließt schon ihre Veränderung mit ein.



Hier noch ein Hinweis auf ein interessantes Interview, das Adelaide Bry mit Fritz Perls zum Thema "Was ist Gestalttherapie?") Ende der 60-er Jahre führte.

 

Literatur:

 

Bialy, J.v., Volk-von Bialy, H. (1998). Siebenmal Perls auf einen Streich.

Die klasssische Gestalttherapie im Überblick. Junfermann.

De Roek, B.P. (1985). Gras unter meinen Füßen. Eine ungewöhnliche Einführung in die Gestalttherapie. Reinbek b. Hamburg. rororo.

Doubrawa, E., Blankertz, S. (2000). Einladung zur Gestalttherapie. Hammer.

Fuhr, R., Gremmler-Fuhr, M. (1995). Gestalt-Ansatz. Grundkonzepte und –modelle aus neuer Perspektive. Köln. EHP.

Fuhr, R., Gremmler-Fuhr, M.(1991): Dialogische Beratung. Person, Beziehung, Ganzheit. Köln. Edition Humanistische Psychologie

Fuhr, R., Sreckovic, M., Gremmler-Fuhr, M. (1999). Handbuch der Gestalttherapie. Göttingen, Hogrefe.

Fuhr, R. (1999). Gestaltberatung. Orientierung, Bestandsaufbahme, Bedeutung, Perspektive. In: Fuhr, R., Sreckovic, M., Gremmler-Fuhr, M.: Handbuch der Gestalttherapie. Göttingen, Hogrefe.

Hutterer-Krisch, R., Luif, I., G. Baumgartner, G. (1999). Neue Entwicklungen in der Integrativen Gestalttherapie. Wiener Beiträge zum Theorie-Praxis-Bezug. WUV, Facultas.

Krisch, R, Ulbing, M. (1991). Zum Leben finden. Beiträge zur angewandten Gestalttherapie. Edition Humanistische Psychologie. Köln.

Oaklander, V. (1981) Gestalttherapie mit Kindern und Jugendlichen. Klett-Cotta. Stuttgart.

Perls, F. (1974). Gestalt-Therapie in Aktion. Klett-Cotta. Stuttgart.

Perls, F. (1976). Grundlagen der Gestalttherapie. Einführung und Sitzungsprotokolle. Pfeiffer. München.

Perls, F. (2000). Das Ich, der Hunger und die Aggression. Klett-Cotta /J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger.

Perls, F., Hefferline, R. F. / Goodman, P. (1997). Gestalttherapie. Grundlagen. dtv- Taschenbuch.

Perls, F., Hefferline, S., Goodman, P. (1995). Gestalttherapie-Praxis. Klett-Cotta.

Perls, F. (1981). Gestalt - Wahrnehmung. Verworfenes und Wieder-gefundenes aus meiner Mülltonne. Verlag Humanistische Psychologie. Köln.

Perls, L. (1978). Begriffe und Fehlbegriffe der Gestalttherapie. In: Integrative Therapie 3-4.

Perls, L. (1989). Leben an der Grenze. Essays und Anmerkungen zur Gestalttherapie. Köln, EHP.

Petzold, H., Mathias, U. (1982). Rollenentwicklung und Identität. Von den Anfängen der Rollentheorie zum sozialpsychiatrischen Rollenkonzept Morenos. Junfermann. Paderborn.

Petzold, H. (1993). Integrative Therapie. Bände: 1-3. Paderborn. Junfermann Verlag.

Petzold, H., Orth, I. (1994). Kreative Persönlichkeitsdiagnostik durch "mediengestützte Techniken" in der Integrativen Therapie und Beratung, Integrative Therapie 4, 340-391.

Polster E., Polster M. (1985). Gestalttherapie, Theorie und Praxis der Gestalttherapie. Frankfurt/Main.

Polster, E, Polster, M. (2001). Gestalttherapie. Theorie und Praxis der integrativen Gestalttherapie. Hammer. Wppt.

Rahm, D. (1990). Gestaltberatung. Junfermann. Paderborn.

Stevens, J. (1975). Die Kunst der Wahrnehmung. Übungen der Gestalt- Therapie. München. Kaiser.

Zinker, J. (1990). Gestalttherapie als kreativer Prozess. Paderborn. Junfermannsche Verlagsbuchhandlung.